DIE AUSSTELLUNG
Mit der Ausstellung Max Beckmann / Friederike Feldmann
NACHTGEDANKEN realisiert die Staatliche Graphische Sammlung
München ein zweites Mal ein Projekt im Bereich der Gegenwartskunst zu dieser Schlüsselfigur der klassischen Moderne. Max Beckmanns Bildwelten bleiben bis heute rätselhaft und schier unerschöpflich – ein Phänomen, worauf zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler sensibel und neugierig reagieren. München ist als Austragungsort für diese Art investigativer Recherche zum Werk Beckmanns prädestiniert, ist doch sein künstlerisches Schaffen in der Museumslandschaft der Stadt mit umfangreichen und gewichtigen Werkgruppen präsent.
Den Auftakt zu einem ersten künstlerischen Dialog mit Beckmanns Werken machte der Videokünstler Omer Fast. Im zurückliegenden Winter 2019/20 hat er sich in einer filmischen Installation Beckmanns Lebenswelt interpretierend angenähert. Als Ansatzpunkt wählte er ein Selbstporträt des Künstlers aus dem Jahr 1917, das vor wenigen Jahren mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung für die Staatliche Graphische Sammlung München erworben werden konnte. Beckmann stellte sich in dieser Tuschfederskizze auf erschütternd realistische Weise dar, nachdem er 1915 einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, der zu seiner Entlassung aus dem Militärdienst des Ersten Weltkriegs führte. Diese Zeichnung, in Fasts künstlerischem Diskurs von allen Seiten beleuchtet, wurde als Ausnahmewerk unter den zeichnerischen Selbstbildnissen des Künstlers einmal mehr dadurch bestätigt, dass analog zu Beckmanns abgründigem Realismus in den filmischen Bildern Omer Fasts die Verletzlichkeit der Psyche als Sollbruchstelle der menschlichen Existenz gedeutet wurde.
Aktuell stellt sich die Berliner Malerin Friederike Feldmann der Herausforderung, ihren künstlerischen Blick auf das Werk Beckmanns in einer raumumfassenden Wandmalerei Gestalt werden zu lassen. Sie lädt die Besucher dazu ein, in die Lebenswelt des Künstlers einzutauchen, um sie, zeitgenössisch interpretiert, ganz anders zu sehen, neue und ungewohnte Perspektiven auf die Motivwelt des Künstlers zu gewinnen und zu erkennen, wie zeitgemäß Beckmanns Werk jenseits kunstgeschichtlicher Einordnungen sein kann. Programmatisch gesprochen könnte man eine Beobachtung des altersweisen Malers Karl Horst Hödicke, dem die Sammlung im Sommer 2019 eine große Retrospektive gewidmet hat, auch der künstlerischen Recherche Feldmanns voranstellen: Hödicke bemerkte, dass Max Beckmann der einzige Künstler seiner Generation sei, der die Klassische Moderne unbeschadet überstanden habe. Will sagen Beckmanns Werk hält etwas bereit, das zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler im hohen Maße reizt, in Gegenbildern darauf zu reagieren.
Der Eindruck täuscht nicht, wenn man das Gefühl gewinnt, dass durch Friederike Feldmanns Rauminstallation wahrlich frei flottierende „Nachtgedanken“ bildhaft werden und sich an den Wänden abzeichnen. Ein durchaus ambivalenter Begriff der sich in vielerlei Hinsicht mit emotional gegensätzlich beladenen Bedeutungen besetzen ließe, was ihn dazu präsentiert, titelgebend für die Ausstellung zu sein. Doch Feldmann tritt mit ihrer künstlerischen Intervention nicht dazu an, sich auf das Glatteis interpretatorischer Theorien zu begeben. Vielmehr versucht sie schon eingangs im Vitrinengang der Graphischen Sammlung einen Ist-Zustand ihrer eigenen künstlerischen Recherche zu dokumentieren und damit die Unfassbarkeit des Beckmannschen Kosmos zu thematisieren.
Dagegen setzt sie in den Ausstellungsräumen darauf, Beckmanns aufgewühlte und verdichtete Bildwelten emotional zu neutralisieren und mit ihrer künstlerischen Intervention eine Distanz herzustellen, die die Betrachter ungewohnte erkenntnissetzende Erfahrungen machen lässt.
Im Vitrinengang blättert Feldmann von Vitrine zu Vitrine ihre allabendliche Auseinandersetzung mit Werk und Vita des Künstlers in zwölf Storyboards auf. Ihre Collagen aus zeichnerischen Skizzen, Fundstücken und Beckmann-Originalen aus der Sammlung wollen Momentaufnahmen sein. Ziel ist es nicht, zu einer abschließenden Bewertung zu kommen. Vielmehr gewinnen die Betrachter den Eindruck, Feldmann könnte augenblicklich ihre eigenen Nachtgedanken fortsetzten, die zwischen Ungewissheit und Entschlossenheit schwanken – ein Zustand, den man nur allzu gut aus Beckmanns collageartigen Bildwelten kennt.
In den Ausstellungsräumen dagegen installiert Friederike Feldmann zwei raumfüllende monochrom abstrakte Wandmalereien. Beckmanns aufgewühlte Bildwelten, in denen es normalerweise drunter und drüber geht, werden hier auf den Kern ihrer Wesenheit zurückgeführt. Ein geradezu analytischer Prozess, den die Malerin vollführt, und ein Angebot an die Museumsbesucher, Beckmanns Bildwelten als abstrakte malerisch-seismographische Aufzeichnungen zu erleben und ihnen in einer Art Raumerfahrung näher zu kommen. Im ersten Ausstellungsraum löst sich bildlich gesprochen der Raum geradezu auf und ein Raum hinter dem Raum wird sichtbar – ein Thema, das sich bei Beckmann immer als klaustrophobische Enge formuliert. Im zweiten Ausstellungsraum zerlegt Feldmann in einer schwarz gefärbten Akkumulation Beckmanns wiederkehrende rätselhafte Bildgegenstände in puzzelartige Versatzstücke, die das Auge zu einem variantenreichen Formenspiel jenseits ikonographischer Bedeutung herausfordern und die Form als Form in den Vordergrund rücken, die jetzt abstrakt und damit ungemein zeitgenössisch erscheint.
Auch Feldmanns Intervention ist nicht dazu angetreten, eindimensionale Antworten auf Beckmanns Werk bereitzustellen. Vielmehr versteht sie ihren künstlerischen Beitrag als ein Angebot, den Grundbedingungen von Beckmanns Bildwelten als Betrachter in einem Raumerlebnis nachzuspüren. Den Ausgangspunkt für ihre Arbeit aber bildet in beiden Räumen jeweils nur eine einzige von ihr aus dem Bestand der Graphischen Sammlung ausgewählte Zeichnung Beckmanns, die wie ein Motto ihrer eigenen Arbeit vorangestellt wird und sie in den Fokus rückt. Die Rede ist hier von dem undurchschaubaren frühen „Selbstbildnis“ in Tuschfeder von 1902 und dem nicht weniger geheimnisvollen Stillleben „Spiegel auf einer Staffelei“ von 1926. Beide Arbeiten bilden den Dreh- und Angelpunkt für Feldmanns beindruckende Recherche.
Michael Hering.
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