ÜBER DIE AUSSTELLUNG Maximilian Kirmse – Berlin Mon Amour
Zweifellos lässt sich die Sentenz Berlin Mon Amour nicht als unbeschwerte Liebeserklärung an eine Großstadt verstehen, deren rauer Lebenswirklichkeit man kaum schmeicheln kann. Sie ist ein Paradoxon, das einen provozierenden, erst bei genauerer Betrachtung sinnstiftenden Widerspruch in sich trägt. Berlin Mon Amour meint nicht das leichtlebige Lebensgefühl, das man mit anderen Metropolen verbindet. Vielmehr beschreibt es die ureigene Lebenslust und unbändige Lebensenergie einer Stadt, deren Sinn für Freiheit und Weltoffenheit lähmender Kleingeistigkeit und Provinzialität entgegensteht. Diese Lebenslust und Lebensenergie sind es, die reaktionären Stillstand aussetzen und fortwährend Berlins vitalen Esprit des Neu- und Umdenkens beflügeln. Von diesem Lebenselixier angezogen, verzaubert es diejenigen, denen es gelingt, darin einzutauchen und sich auf ihr eigenes Liebesabenteuer mit der Spreemetropole einzulassen.
Genau von diesem eher lässigen Berliner Lebensrhythmus erzählen Maximilian Kirmses Bildwelten, ohne große Dramen zu bemühen oder absurde Motive erfinden zu müssen. Fern touristischer Großstadtphantasien, die vom alten glamourösen Westen, von schlafwandelnden Party-People in Mitte oder von coolen Hipstern in der gentrifizierten Stadtlandschaft am Prenzlauer Berg träumen, greifen die Zeichnungen und Malereien das unaufgeregte Leben in seinem Kiez auf.
Im Kontrast zu den genannten Klischees wirkt diese Alltäglichkeit umso verstörender, weil sie jedwede Sensationslust ins Leere laufen lässt und ihr vice versa den Spiegel vorhält. Dabei scheinen seine Szenen immer aus neutraler Distanz heraus beobachtet zu sein, sodass sie weder als „Milljöh“-Studien noch als Chronik einer Großstadt zu betrachten sind.
Ohne jeden Respekt vor akademischen Traditionen und den erdrückenden Fortschrittsgedanken des Avantgardeprinzips ignorierend, treffen in Maximilian Kirmses Werk völlig ungezwungen stilistische und ästhetische Elemente der „High“- und der „Low“-Kultur aufeinander und verbinden sich zu einem untrennbaren Konglomerat, das seine eigenwillige wie präzise Handschrift ausmacht.
Zum Teil scheinen seine Motive der Comic-Kultur entsprungen zu sein, erinnern zugleich aber auch an primitivistische Bildwelten, die der Volkskunst entlehnt sein mögen. Nicht zuletzt leuchtet in seinen Tableaus, einem hypernervös, farblich überdrehten Blitzlichtgewitter nicht unähnlich, das Lebensgefühl eines Fin de Siècle auf. Diese Dissonanzen sind selbstverständlicher Teil des Lebensgefühls von Berlin Mon Amour.
Die kuratorische Idee von Berlin Mon Amour stellt Maximilian Kirmse aber auch als einen Künstler in der Tradition von Künstler*innen vor, die durch das 20. Jahrhundert hindurch Berlins coolem Charme erlegen sind und wie er ein eigenes Ding mit der Stadt am Laufen hatten und haben, um es etwas umgangssprachlich zu formulieren. Zu ihnen gehören unter anderen Max Beckmann, Georg Grosz, Jeanne Mammen, Werner Heldt, Christa Dichgans, K. H. Hödicke, Olaf Metzel und Anne Imhof. Insofern ist der Ausstellungstitel auch eine Hommage.
Die konzentrierte Auswahl einzelner Werke aus einer großen Fülle von Blättern mit Berlin-Bezug von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart aus dem Bestand der Graphischen Sammlung München bestätigt, dass Berlin schon immer etwas mehr war als das, was man in einem spezifischen Augenblick zu kennen glaubte. Für sich betrachtet ist jedes der vorgestellten Werke ein sehr persönliches Bekenntnis zu Berlin. In ihrer Gesamtheit greifen sie einzelne Augenblicke der Stadtgeschichte heraus, die das facettenreiche Lebensgefühl spiegeln, welches sich mit der Spreemetropole verbinden lässt.
Berlin Mon Amour ist auch eine Reise der leisen Töne quer durch die Stadt, bei der das Alltägliche, Nebensächliche und Flüchtige ins Blickfeld rückt. In Verbindung mit den historischen Blättern wird Maximilian Kirmses Blick auf Berlin damit weniger zu einem Schlusspunkt als zu einem Auftakt in ein spannendes 21. Jahrhundert dieser Metropole.
Michael Hering
Maximilian Kirmse über die Werkgruppe "Bürgeramt", 2022-23
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Wer in Deutschland einen neuen Personalausweis beantragt, muss dazu noch immer meist zum Amt und an dort einige Zeit verbringen. Der Künstler Maximilian Kirmse interessiert sich für solche Orte. Für ihn offenbaren die Details ihrer Gestaltung etwas über über ihre Bedeutung für die Gesellschaft und die Erfahrungen der Menschen, die sich an ihnen aufhalten. Aus seinen Beobachtungen im Bürgeramt Spandau ist die Werkgruppe "Bürgeramt" entstanden, über die er in unserer neuen Folge ONE ON ONE spricht.
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Video: Magnetic Medien
Maximilian Kirmse – KIEZ
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