SCHWEIZER SCHEIBENRISSE VON DER RENAISSANCE BIS ZUM FRÜHBAROCK ǀ DER MÜNCHNER BESTAND
Die Ausstellung
Die Staatliche Graphische Sammlung München verwahrt einen Sonderbestand von rund 300 Schweizer Scheibenrissen. Etwa 150 Blatt gehören zum ältesten Bestand des Kabinetts. Sie kommen aus der Mannheimer Sammlung von Kurfürst Carl Theodor und entstammen wohl einem Basler Werkstattbestand. Durch Überweisungen aus dem Bayerischen Nationalmuseum von 1921 kamen auch Beispiele der Innerschweiz hinzu. Spitzenwerke der Holbein-Werkstatt, von Tobias Stimmer, Jost Amman, Christoph Murer und vielen anderen belegen hochrangig und facettenreich diese eigenwillige Sparte Schweizer Kunst.
LEUCHTREKLAMEN DES MITTELALTERS
Auch in nachmittelalterlicher Zeit war Glas teuer. Baute man ein Haus oder wollte ein Wirt die Gaststube renovieren, bat er die Stadt, seine Zunft, Freunde um Unterstützung für ein verglastes Fenster. Wurde dem Gesuch entsprochen, verkündet dies in leuchtenden Farben eine in das Butzenfenster eingelassene Glasmalerei mit dem Wappen des Stifters, kombiniert mit namentlicher Nennung seiner Ämter und Funktionen, verknüpft mit moralisierenden Beischriften – eine erste Form sinnenkitzelnder „Leuchtreklame“.
Das Münchner Kabinett besitzt nach der Kunsthalle Karlsruhe, mit dem weltweit größten Bestand an Rissen, in Deutschland die wichtigste Sammlung. Es handelt sich um ein Genre, das in der Schweizer, Elsässer und süddeutschen Landschaft einzigartig ist. Neben der Qualität der Werke geht es in der Ausstellung wie im Katalog um eine kulturhistorische Verortung der kunsthandwerklichen Zeichnungen.
REPRÄSENTATION UND BÜHNE
Bis zum Beginn der Aufklärung hielt sich die Schweizer Sitte, „Kabinettscheiben“ zu verschenken. Bald ging es nicht mehr um den finanziellen Aspekt, sondern um Repräsentation, darum, Vernetzungen und gegenseitige Wertschätzung zu demonstrieren. Jeder schenkte und wollte beschenkt werden – Äbte, Klöster, Stadtregimente, Kantone, Zünfte, Vögte, aber auch Wirte, Bäcker oder Metzger.
Dass in der Schweiz Wappenfreiheit herrschte, sich jeder sein eigenes Wappen zulegen konnte, hat das Phänomen nachhaltig am Leben gehalten. Metzger zeigen in ihrem Schild etwa einen Stierkopf, Bäcker eine Brezel, Müller ein Mühlrad. Und es blieb keineswegs beim Wappen allein. In Zürich etwa traten die Wappen klein an den Rand. Wichtig wurde das Mittelbild. Dort waren theatralisch inszenierte Episoden aus Altem und Neuem Testament zu sehen, Allegorien, aber auch Begebenheiten aus dem Alltag, was dieses Genre auch kulturhistorisch so bedeutsam macht.
Im arbeitsteilig organisierten Werkprozess bekamen Glasmaler zumeist Entwürfe für die Scheiben von spezialisierten Zeichnern, sog. „Scheibenrisse“: Es handelt sich um genaue Vorlagen, die in identischem Maßstab umzusetzen waren.
Dr. Achim Riether
Referat Deutsche Kunst 15. – 18. Jahrhundert
Staatliche Graphische Sammlung München