TOUCH.
31. Januar von Dr. Brigitta Heid
Ausstellung
Die Ausstellung TOUCH. Prints by Kiki Smith ist der Dank für eine außergewöhnlich großzügige Schenkung: Die international renommierte New Yorker Künstlerin hat der Staatlichen Graphischen Sammlung 196 Einzelblätter, 41 Portfolios und Serien sowie 15 Künstlerbücher zukommen lassen; aufgeschlüsselt in Einzeldruck sind es über 800 Stück. Weltweit ist somit die Staatliche Graphische Sammlung das Museum mit dem größten Bestand an druckgraphischen Werken von Kiki Smith. Zudem greift die Generosität der Künstlerin noch in die Zukunft aus, da sie von jeder neu entstehenden Auflage ein Exemplar der Sammlung überlassen wird.
Das druckgraphische Schaffen
Verschiedene Welten
In der Ausstellung geben über 160 ausgewählte Werke aus der umfangreichen Schenkung einen opulenten Überblick über das gesamte bisherige druckgraphische Schaffen der Künstlerin. Der große Ausstellungssaal (Temporär 1) zeigt Masterpieces (Meisterwerke) aus den Jahren 1985 bis 2018. Die anderen Räume versammeln die Werke nach thematischen Aspekten: Das Entree empfängt mit The World between Life and Death (Die Welt zwischen Leben und Tod), die anschließenden Räume präsentieren Werke zu (Die Welt des menschlichen Körpers) und zu The World of Fairy Tales (Die Welt der Märchen).
Das Sein des Menschen
Grundlegendes Thema in Kiki Smiths Werk ist die Frage nach dem Sein des Menschen.
Eine besondere Beziehung zu Deutschland besteht für Kiki Smith durch ihren Geburtsort Nürnberg. Dort wurde sie 1954 geboren, als sich ihre Eltern, die Opernsängerin und Schauspielerin Jane Smith und der Architekt, Maler und Bildhauer Tony Smith im Rahmen eines Engagements der Mutter in Deutschland aufhielten. Bald kehrte die Familie nach New Jersey zurück. 1976 zog Kiki Smith nach New York, wo sie seitdem lebt und arbeitet. Das New Yorker Umfeld prägte sie maßgeblich, darunter die Minimal Art, die Pop Art oder Performance-Kunst.
Grundlegendes Thema in Kiki Smiths Werk ist die Frage nach dem Sein des Menschen. Parallel zu richtungsweisenden Künstlern wie Nancy Spero, Louise Bourgeois, Robert Gober oder Félix González-Torres begann die Künstlerin in den 1980er-Jahren das Figürliche zu thematisieren, zunächst in Form von Körperfragmenten. Steht in ihren frühen Schaffensjahren der menschliche Körper im Mittelpunkt, so wendet sie sich seit 1992 auch dem Körper des Tieres zu. Zudem erkundet sie ab 1992 in biblischen Geschichten und seit 1999 in Märchen die Existenz des Menschen. Ende der 1990er Jahre erweitert sie den Radius und spürt der Verbindung des Menschen zu Natur und Kosmos nach. Aktuelle politische Fragen, wie der Umgang mit AIDS, die Emanzipation, die Abtreibungsdebatte, häusliche Gewalt gegen Frauen und der Umweltschutz finden in ihren Werken Resonanz.
Seit Beginn ihrer Karriere hat Kiki Smith in der Druckgraphik auf vielfältigste Weise experimentiert. In Kooperation mit Druckwerkstätten fand sie zu außergewöhnlich neuen Wegen. Ein wichtiger Aspekt ihrer Druckgraphik ist eine Material- und Technikvielfalt, wie sie nur wenige Künstler beherrschen. Es ist vor allem die Sensualität der Oberfläche, durch die Kiki Smiths Drucke begeistern. Bei einigen Werken vermeint man dem Arbeiten ihrer Hand förmlich nachspüren zu können. Diese Qualität führte auch zum Titel der Ausstellung „Touch“, der im direkten und übertragenen Sinne zu verstehen ist. Zum einen sind die Druckgraphiken in ihrer Wirkung sehr haptisch, man würde sie gerne berühren. Zum anderen berührt Kiki Smiths Kunst durch ihre Inhalte, einige Themen gehen unter die Haut und gewähren Einblick in das, was unter der Oberfläche liegt.
Das Gesamtwerk von Kiki Smith zeichnet eine Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen aus: Neben Skulptur, Druckgraphik, Collage und Zeichnung arbeitet sie mit Film, Fotografie, Textilkunst, Wandteppichen, Porzellanobjekten, Glasmalerei, Goldschmiedekunst oder auch Lichtobjekten. Ihre edierte Druckgraphik ist ähnlich vielseitig: Es finden sich diverse Verfahren, vom einfachen Kartoffel- und Stempeldruck über die traditionellen Techniken der Lithographie, Radierung, Aquatinta, Kaltnadel, Mezzotinto, Linolschnitt, Holzschnitt, Siebdruck und der Photogravüre bis hin zu den neueren Techniken wie Iris Print und Photopolymer-Druck. In manchen der Drucke kombiniert Kiki Smith verschiedene Techniken miteinander. Die verwendeten Papiere sind von unterschiedlichster Qualität und Haptik, die Formate variieren von klein bis riesig groß.
An der Druckgraphik schätzt Kiki Smith besonders deren Möglichkeit, ein Motiv zu vervielfältigen. Dabei sieht sie in den einzelnen Abzügen von einer Druckplatte keine sturen Wiederholungen, sondern hebt deren individuelle Andersheit in der Gleichheit hervor, so wie jeder einzelne Mensch innerhalb der Gattung Mensch ein charakteristisches Individuum sei: „It’s about repetition versus uniqueness. My interest in printmaking is that prints mimic what we are as humans: we are all the same and yet everyone is different.” (Smith 1998).
Die Wiederverwendung eines Motivs wird von Kiki Smith in allen von ihr benutzten künstlerischen Medien praktiziert, neben der Druckgraphik ist dies vor allem die Skulptur. Für die Künstlerin, die in der Kunstwelt besonders durch ihre Skulpturen bekannt ist, sind Druckgraphik und Skulptur gleichberechtigte Partner. Aber nicht nur die beiden Kunstgattungen Druckgraphik und Skulptur inspirieren und beeinflussen sich bei Kiki Smith gegenseitig. Sie verwebt all ihre künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten miteinander. Techniken und Materialien der angewandten Kunst (des Kunsthandwerks und Designs) oder der Volkskunde stehen für sie gleichwertig neben denen der bildenden Kunst. Die Künstlerin spricht immer wieder von ihrer Liebe zum Kunsthandwerk und zum Dekor.
Im Zusammenhang mit der generösen Schenkung wird im Laufe dieses Jahres der erste Teil eines Catalogue Raisonné der publizierten Druckgraphik über die Homepage der Staatlichen Graphischen Sammlung online gehen.