Aenne Biermann
29. Juli 2019 · von Dr. Simone Förster
Ausstellung
Aenne Biermann (1898-1933) zählt heute zu den festen Größen der „Neuen Fotografie“. Obwohl sie nur wenige Jahre fotografierte und anders als Fotografenkolleginnen wie beispielsweise Florence Henri, Germaine Krull oder Lucia Moholy weder eine künstlerische Ausbildung erfahren hatte, noch in den Avantgardekreisen der Großstadtzentren verkehrte, entwickelte Aenne Biermann einen eigenen, signifikant modernen Bildstil, der sie innerhalb kürzester Zeit als Vertreterin der zeitgenössischen Avantgardefotografie etablierte. Klare Strukturen, präzise Kompositionen mit Licht und Kontrast sowie detailbetonte Bildausschnitte zeichnen Aenne Biermanns Fotografien aus.
Vertrautheit mit den Dingen
Sie entlocken den Personen und Gegenständen ihres alltäglichen Umfelds eine besondere Poesie und stellen in einer zunehmend unübersichtlich werdenden Welt, wie Aenne Biermann 1930 schreibt, eine „Vertrautheit mit den Dingen“ her.
Aufgewachsen in einer Fabrikantenfamilie am Niederrhein erfuhr Aenne Biermann zwar keine höhere Schulbildung, wurde aber in ihren musischen Neigungen gefördert und erhielt Klavierunterricht. Nach der Heirat mit dem Kaufmann Herbert Biermann 1920 zog sie nach Gera/Thüringen und wurde Teil eines großbürgerlich-intellektuellen Milieus, das modernen Strömungen in Kunst und Kultur äußerst aufgeschlossen gegenüberstand und diese auch im eigenen Lebensradius kultivierte. Den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit der Fotografie bildete für Aenne Biermann die Geburt der Kinder Helga (1920) und Gerd (1923).
Dokumentation und Wirkung
Als 1930 in der von Franz Roh initiierten Buchreihe „Fototek“ die Monografie „Aenne Biermann. 60 Fotos“ erschien, war das Renommée der Fotografin als eine zentrale Figur der Avantgardefotografie gefestigt.
Zunächst nur als Mittel zur Dokumentation der Entwicklungsphasen ihrer Kinder eingesetzt, erschloss sich Aenne Biermann ab Mitte der 1920er-Jahre mit der Fotografie einen eigenständigen, kreativen Wirkungsbereich. Sie richtete ihre Kamera auf Pflanzen, Dinge, Menschen und Alltagssituationen und nutzte das Medium als künstlerischen Zugang zu ihrem persönlichen Umfeld.
1928 richtete der Kunstkritiker Franz Roh eine erste Einzelausstellung der Fotografin im Graphischen Kabinett Günther Franke in München aus und stellte ihre Werke in „Das Kunstblatt“, der richtungsweisenden Monatszeitschrift für zeitgenössische Kunst in Deutschland vor. Daraufhin folgten Beteiligungen an zahlreichen bedeutenden Ausstellungen zur modernen Fotografie, wie beispielsweise „Film und Foto“ (1929), sowie Einzelausstellungen in Oldenburg, Jena und Gera. Aenne Biermanns Aufnahmen wurden in Fotowettbewerben prämiert und in Büchern, Kunstzeitschriften und illustrierten Magazinen veröffentlicht.
Als 1930 in der von Franz Roh initiierten Buchreihe „Fototek“ die Monografie „Aenne Biermann. 60 Fotos“ erschien, war das Renommée der Fotografin als eine zentrale Figur der Avantgardefotografie gefestigt. Durch den frühen Tod der Künstlerin und die erzwungene Emigration der Familie in den 1930er-Jahren ging das Archiv der Fotografin weitgehend verloren und muss als verschollen gelten. Ann und Jürgen Wilde gelang es in über vier Jahrzehnten weitreichender und intensiver Recherche ein Konvolut an Werken zusammenzutragen, das Aenne Biermanns Schaffen repräsentativ sichtbar macht und zu den umfangreichsten Sammlungen zum Werk der Fotografin zählt.
Die Ausstellung umfasst über 100 originale Fotografien, davon 73 zum Teil großformatige Ausstellungsabzüge aus den Beständen der Stiftung Ann und Jürgen Wilde. Leihgaben aus den Beständen des Museum Folkwang, Essen, dem Museum für Angewandte Kunst Gera, dem Museum Ludwig, Köln, der Staatlichen Museen zu Berlin / Kunstbibliothek, dem Münchner Stadtmuseum, der Galerie Berinson, Berlin, dem Nachlass Franz Roh und der Sammlung Dietmar Siegert, München sowie dem Archiv Ann und Jürgen Wilde, Zülpich ergänzen die Ausstellung.
Film-Matinée
Aus Anlass der Ausstellung „Aenne Biermann. Vertrautheit mit den Dingen“ zeigen wir filmische Porträts von Aenne Biermann, Ilse Bing und ringl+pit (Ellen Auerbach und Grete Stern), Fotografinnen einer Generation mit deutsch-jüdischem Hintergrund und Protagonistinnen der Avantgardefotografie der 1920er und 1930er Jahre. Auf unmittelbare Weise fließen in den drei dokumentarischen Filmen Persönlichkeitsgeschichte, Zeitgeschichte und Geschichte der Fotografie zusammen.
Der Filmemacher Heiko Arendt begab sich 2014 auf die Spuren der Fotografin Aenne Biermann (1898 1933) in Gera und Israel. Begegnungen mit Zeitzeugen und Forschern machen den Kurzfilm zu einem einfühlsamen posthumen Porträt.
„Ich bin nicht Fotografin geworden, sondern ich war es einfach.“, sagt Ilse Bing (1899-1998) im kommentarlosen Interviewfilm der Dokumentarfilmerin Antonia Lerch. Die Avantgardekünstlerin und Fotojournalistin vermittelt mit spürbarer Begeisterung die Entstehungsgeschichte ihrer Fotografien.
In seiner Dokumentation „Das dritte Auge“ erzählt der Filmemacher Frieder Schlaich die Chronologie der ereignisreichen künstlerischen, beruflichen und persönlichen Lebensläufe der Fotografinnen Ellen Auerbach (1906-2004) und Grete Stern (1904-1999), bekannt unter dem Namen ihres gemeinsamen Ateliers „ringl+pit“, die er in New York und Buenos Aires besucht und begleitet.
Termine:
29.9.2019, 11 Uhr
Aenne Biermann - Fotografin, von Heiko Arendt, D 2014 (20 Min)
Ilse Bing, von Antonia Lerch, D 1993 (50 Min)
6.10.2019, 11.00 Uhr
Aenne Biermann - Fotografin, von Heiko Arendt, D 2014, (20 Min)
Das dritte Auge (Ellen Auerbach und Grete Stern), von Frieder Schlaich, D 1991-1995 (45 Min)
Ernst von Siemens-Auditorium, Eintritt frei